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Gemeinsame Medienmitteilung der Schweizerischen Energie-Stiftung SES, des Trinationalen Atomschutzverbands TRAS und von Greenpeace Schweiz
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Ein Jahr Überzeitbetrieb AKW Leibstadt: Der Druck steigt
Seit einem Jahr läuft das Atomkraftwerk Leibstadt im Überzeitbetrieb. Seither nehmen die rechtlichen und politischen Spannungen zu: Ein Gerichtsverfahren von Anwohnenden, deutliche Forderungen aus Deutschland und ein aktueller internationaler Präzedenzfall stellen den Weiterbetrieb ohne grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zunehmend in Frage.
Anwohnende ziehen AKW Leibstadt vor Gericht
Fünfzehn Anwohnerinnen und Anwohner reichten im Januar 2025 Klage gegen das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) sowie gegen die Betreiberin des AKW Leibstadt ein. Sie kritisieren den Übergang in den Überzeitbetrieb, ohne dass die Risiken des alternden AKW für Mensch und Umwelt im In- und Ausland untersucht worden wären. Die Klagenden machen internationale Vereinbarungen geltend, welche die Schweiz verpflichten, eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchzuführen.
«Dass das AKW Leibstadt ohne Umweltprüfung in den Langzeitbetrieb übergegangen ist, widerspricht klar internationalem Umweltrecht» sagt Stephanie Eger, Leiterin des Fachbereichs Atomenergie bei der Schweizerischen Energiestiftung (SES).
Deutschland fordert UVP – Schweiz wiegelt ab
Aus einer Stellungnahme des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft der Landesregierung von Baden-Württemberg (Umweltministerium) an den Landtag (Parlament) vom 7. August 2025 geht hervor, dass auch Deutschland den Druck auf die Schweiz erhöht. Nicht nur das Umweltministerium aus Stuttgart, sondern auch das Bundesministerium für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMUKN) in Berlin sieht die Voraussetzungen für eine grenzüberschreitende UVP im Fall des Langzeitbetriebs des AKW Leibstadt als erfüllt.
Anlässlich der Sitzung der Deutsch-Schweizerischen Kommission für die Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen (DSK) vom 18. Dezember 2024 forderte die deutsche Seite darum ausdrücklich eine grenzüberschreitende UVP. Das Schweizer Bundesamt für Energie (BfE) wies die Forderung zurück, weil kein behördliches Bewilligungsverfahren nötig und somit auch kein UVP-Verfahren möglich sei.
Auch Vorschläge, die Bevölkerung auf der deutschen Rheinuferseite zumindest zu informieren und einzubeziehen, wurden von der Schweiz nicht aufgegriffen. In der Folge haben die deutschen Behörden ein förmliches Verfahren um «Benachrichtigung» gemäss internationalem Abkommen eingeleitet (Artikel 3 Absatz 7 der Espoo-Konvention). Sie verlangen damit formell die Durchführung einer grenzüberschreitenden UVP.
Internationaler Präzedenzfall erhöht den Druck
Zusätzlich ins Abseits gerät der Fall Leibstadt durch aktuelle Entwicklungen bei der Laufzeitverlängerung des französischen Atomreaktors Tricastin 1 im Rhonetal. Auch dieses AKW befindet sich im Überzeitbetrieb, ohne dass eine grenzüberschreitende UVP stattgefunden hat. Wie die Schweiz hat sich Frankreich zu internationalen Umweltstandards verpflichtet (Espoo-Konvention).
Das Gremium, das die Einhaltung der Espoo-Konvention überprüft (Implementation Committee), kommt zum Schluss, dass Frankreich die Konvention verletzte (Feststellungen und Empfehlungen vom 19. November 2025): Der Weiterbetrieb eines alternden Atomkraftwerks stelle eine wesentliche Betriebsänderung dar, was eine grenzüberschreitende UVP grundsätzlich erforderlich macht. Die Mitgliedstaaten-Konferenz der Espoo-Konvention vom Dezember 2026 muss diese Feststellung noch formell bestätigen.
«Auch für die Schweiz gilt, dass Staaten den Langzeitbetrieb alter Reaktoren nicht an der Öffentlichkeit vorbei regeln dürfen», so Balthasar Glättli, Präsident des Trinationalen Atomschutzverbands TRAS.
Nathan Solothurnmann, Energieexperte bei Greenpeace Schweiz, verdeutlicht: «Die Schweiz riskiert, internationale Verpflichtungen zu verletzen, wenn sie beim AKW Leibstadt weiterhin auf Transparenz und Mitsprache verzichtet. Sie muss die grenzüberschreitenden Auswirkungen auf Mensch und Umwelt prüfen.»